Dr. Schuster, welches Thema beschäftigt Sie zurzeit am meisten?
Die Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit von Flachglas und Flachglasprodukten. Ich denke wir haben eine Vielzahl an Möglichkeiten diese zu verbessern. Dazu zählen unter anderem das Wiederverwenden, das Recyclen, Ressourceneinsparungen durch ein besseres «Engineering» bzw. Kennenlernen der Produkte und daraus abgeleiteten Bemessungsmethoden und Konstruktionsarten oder durch die Entwicklung neuer Prüfverfahren, die zerstörende Prüfungen reduzieren.
Welche neue Technologie wird Ihrer Meinung nach unsere Branche in den kommenden Jahren radikal verändern?
Da fällt mir spontan die IG2Pieces Anlage der Hegla GmbH ein. Das Auftrennen von Isoliergläsern bei gleichzeitiger Erfassung wichtiger Daten, wie Glasdicke, Beschichtung etc. stellt einen wichtigen Schritt zur Umsetzung einer verbesserten Kreislaufwirtschaft von Flachglas dar. Natürlich gibt es neben den technischen Entwicklungen aber auch weitere Herausforderungen, wie z. B. Logistik, rechtliche Fragestellungen etc., welche die Glasbranche massgeblich mitgestalten werden.
Welche aufkommenden Trends überraschen Sie am meisten?
Meiner Einschätzung nach wird sowohl Dünnglas als auch Vakuumisolierglas vermehrt zum Einsatz kommen. Gläser werden multifunktionaler und sind adaptiv an die Umgebung anpassbar (z. B. durch thermochrome Schichten) oder sie nutzen die Solarenergie um Strom zu erzeugen (z. B. BIPV).
Was fehlt der Branche bzw. in Ihrem Tätigkeitsfeld und wovon möchten Sie gerne mehr sehen?
Eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten von der Planungsphase bis zur Ausführung ist meiner Meinung nach unerlässlich. Gebäudehüllen müssen eine Vielzahl von Anforderungen erfüllen, darunter statische und bauphysikalische Erfordernisse sowie gestalterische Ansprüche. Darüber hinaus sollen Fassaden nachhaltig, kreislauffähig und ggf. multifunktional gestaltet sein. Dies kann nur durch eine kontinuierliche Kooperation zwischen verschiedenen Fachbereichen erreicht werden.
Des Weiteren wünsche ich mir manchmal eine noch differenziertere Betrachtungsweise. In komplexen Problemstellungen existiert selten eine „perfekte Lösung“; vielmehr ist die Lösung stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen abhängig. Bezogen auf die Kreislauffähigkeit sollten Wiederverwendung und Recycling nicht als konkurrierende Ansätze betrachtet werden, sondern vielmehr als sich sinnvoll ergänzende Strategien.
Welches ist Ihr Lieblingsgebäude aus Glas und weshalb?
Das ist eine schwierige Frage. Ich finde viele Gebäude aus Glas auf ihre Art schön, da ich einfach von dem Material fasziniert bin. Die vielfältige Einsatzbarkeit und die Tragfähigkeit von Glas sieht man sehr gut in diversen Apple Stores, wo Glas in Form von Fassaden, Geländern, gebogenem Glas, Glasträgern und Glastreppen zum Einsatz kommt. Obwohl ich kein spezifisches Lieblingsgebäude habe, finde ich den Apple Store an der 5th Avenue in New York besonders spannend, da er die technologische Entwicklung im Glasbau exemplarisch widerspiegelt. Während die Fassade der ersten Version 2006 noch aus 18 Glaselementen je Seite bestand, gab es durch den technologischen Fortschritt bereits 2011 eine zweite Version bei der die Anzahl je Seite auf 3 (Abmessung: 18 m x 3,60 m) reduziert werden konnte.
Info
Dieser Austausch fand im Rahmen der Interviewreihe zum SIGAB Glas-Termin statt, an dem Trends und Innovationen im Glas am Bau sowie neuste Erkenntnisse aus Forschung und Anwendung thematisiert wurden. Die technische Fachstelle SIGAB lädt regelmässig zu Fachveranstaltungen an ausgewählte Orte ein und bietet ein reichhaltiges Programm mit folgenden Schwerpunkten: Glas-News aus erster Hand, Begegnung mit den Expertinnen und Experten für Glas am Bau, Top-Referate, unterhaltsame Weiterbildung sowie Austausch und lockeres Networking. Besten Dank an Dr. Miriam Schuster, die am Glas-Termin referierte und im Anschluss für dieses Interview zur Verfügung stand.
Mehr zum SIGAB Glas-Termin finden Sie hier.
Bild: Lea Reutimann
