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Vor- und Nachteile von Floatglas, vorgespanntem Glas und Verbundsicherheitsglas

Glas kann als Baumaterial in unzähligen Anwendungen eingesetzt werden, bei Isoliergläsern z. B. in Flügelfenstern, Fenstertüren, Festverglasungen, Dachverglasungen, als Einfachgläser im Aussenraum oder im Gebäudeinneren. Glas ist in den unterschiedlichsten Ausprägungen erhältlich. Das Ausgangsprodukt ist in aller Regel sogenanntes «Floatglas». Floatglas wird hergestellt, indem die heisse Glasschmelze über ein Zinnbad fliessend kontinuierlich abkühlt und zu planem Glas erstarrt. Es wird in Platten, die in der Regel 6.0 m lang und 3.21 m breit sind, ausgeliefert und zu verschiedenen Glasprodukten weiterverarbeitet. In der Branche nennt sich das «Veredelung». Floatglas kann insbesondere vorgespannt, zu Glasverbünden laminiert oder beschichtet werden. Die daraus hervor-gehenden Glasprodukte können entweder als Einfachglas eingesetzt oder ihrerseits in unterschiedlichen Kombinationen, z. B. zu Isoliergläsern, zusammengefügt werden.

Meist muss aufgrund der Eigenschaften der verschiedenen Glasprodukte zwischen Vor- und Nachteilen von verschiedenen Glasaufbauten abgewogen werden. Hier soll ein Überblick gegeben werden über die wichtigsten Eigenschaften von Floatglas, vorgespanntem Glas und Verbund-Sicherheitsglas[1]. Diese Glasprodukte können mit Beschichtungen versehen werden. Beschichtungen werden nicht nur, aber grösstenteils zur Beeinflussung der strahlungstechnischen Eigenschaften eingesetzt wie z. B. für den Wärmeschutz zur Reduktion des Energieverbrauchs, für den Sonnenschutz zur Reduktion des Energieeintrags ins Gebäude oder mit reflektierenden Eigenschaften als Sichtschutz. Dadurch ändert sich an den hier behandelten Eigenschaften in der Regel nichts oder kaum etwas. Die beleuchteten Eigenschaften sind folgende:

•    Visuelle Qualität
•    Glasbruchrisiko - Verhalten im Bruchfall
•    Verletzungsgefahr bei Glasbruch
•    Risiko von Verkratzungen

Nicht eingehend berücksichtigt werden in diesem Beitrag die Kosten für die verschiedenen Produkte. Im Regelfall ist Floatglas wesentlich günstiger als die anderen Glasprodukte – das liegt auf der Hand, erfordern letztere doch weitere Verarbeitungsschritte. Ebenso wenig eingegangen wird auf das The-ma Glasgewicht. Es sei lediglich erwähnt, dass sich das spezifische Glasgewicht durch die Weiterverarbeitung nicht ändert. Somit haben alle beschriebenen Glasprodukte dasselbe spezifische Gewicht. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass die Wahl von Verbund-Sicherheitsglas (VSG) statt Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG) in der Regel zu einem höheren Gesamtgewicht führt. Aus den nachfolgenden Ausführungen wird deutlich, dass ESG im Gegenzug allerdings auch Nachteile aufweist.

Visuelle Qualität
Floatglas führt bei der Qualität der Durchsicht kaum zu Problemen. Möglich sind kleine Fehler, beispielsweise kleinste Luftblasen im Glas, sogenannte Einschlüsse. Da Floatglas das Ausgangsprodukt für vorgespanntes Glas oder Verbund-Sicherheitsglas (VSG) ist, gilt dies auch für diese anderen Produkte. Bei Isoliergläsern sind gelegentlich Rückstände im Scheibenzwischenraum oder andere optische Erscheinungen wie Fehler bei der Beschichtung anzutreffen. Dies hängt indessen nicht vom Glastyp der Einzelscheiben des Isolierglases ab. Bis zu einem gewissen Grad müssen solche kleinen Fehler toleriert werden. Betreffend eingebaute Gläser sind die Toleranzgrenzen in der SIGAB-Richtlinie 006 «visuelle Beurteilung von Glas am Bau» definiert. Was die Qualität der Durchsicht angeht, muss bei vorgespanntem Glas differenziert werden zwischen sogenanntem Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG) und teilvorgespanntem Glas (TVG). Die Vorspannung erhält Glas durch die Behandlung in einem Ofen, die Behandlungsmethoden unterscheiden sich jedoch bei ESG und TVG. Bei ESG entstehen produktionsbedingt Verwerfungen. Werden bei einem Glaselement, z. B. bei einem Isolierglas, mehrere ESG-Scheiben voreinander gelagert verbaut, kann es zu Verzerrungen beim Blick durch die Gläser kommen. Je mehr ESG-Scheiben verwendet werden, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit von Beeinträchtigungen der Durchsicht. 

Da Verwerfungen bei ESG produktionsbedingt nicht zu vermeiden sind, können sie nicht beanstandet werden, solange sich das Ausmass im Rahmen der Norm SN EN 12150-1 bewegt. Bei der Festlegung des Glasaufbaus ist deshalb zu beachten, dass die Gefahr von Verzerrungen der Durchsicht zunimmt, je mehr ESG-Schichten das Glaselement enthält. Die Verzerrung der Durchsicht durch ein Isolierglas kann ein Mangel darstellen, auch wenn die Verwerfungen der Einzelscheiben innerhalb der Toleranz liegen.

ESG weist weitere Eigenheiten auf, die sich bei der Durchsicht bemerkbar machen können. Tageslicht erzeugt bei ESG nicht selten sogenannte Anisotropien. Diese zeigen sich als schillernde Polarisationsflecken auf dem Glas. Diese Erscheinung ist produktionsbedingt und deshalb nicht zu beanstanden. Schliesslich entstehen während des Vorspannprozesses beim ESG zuweilen Grauschleier, die, wenn sie auf eine innenliegende Oberfläche eines Isolierglases zu liegen kommen, nicht entfernt werden können. Solche Grauschleier sind – anders als Verzerrungen oder Anisotropien – vermeidbar. Deshalb sind sie nicht in jedem Fall zu tolerieren – es kommt auf das Ausmass der Beeinträchtigung an. Bei TVG bestehen alle diese Gefahren nicht oder nur in sehr geringem Mass.

VSG werden jeweils aus zwei (oder mehr) Glasschichten desselben Glastyps (also z. B. 2 x Floatglas) zusammengesetzt, wobei diese durch Zwischenlagen aus Kunststoff zusammengehalten werden. Wir haben gesehen, dass ESG in verschiedener Hinsicht zu Problemen führen kann, was die Qualität der Durchsicht anbelangt. Diese Probleme «drohen» natürlich auch, wenn ESG zu VSG zusammengesetzt wird. VSG aus ESG wird allerdings eher selten eingesetzt. Bei VSG aus Floatglas oder aus TVG muss nicht oder kaum mit den besagten Erscheinungen gerechnet werden. Unabhängig vom eingesetzten Glastyp treten in seltenen Fällen bei VSG aufgrund der Zwischenlage Beeinträchtigungen der Durchsicht auf. Festgestellt wurden in der Praxis etwa eine bei direkter Sonneneinstrahlung sichtbare, leicht milchige Verfärbung oder eine leicht verschwommene Durchsicht. Ob solche Erscheinungen dazu führen, dass die Gläser ersetzt werden müssen, ist individuell unter Berücksichtigung der konkreten Konstellation zu entscheiden, wobei das Ausmass der Beeinträchtigung der Hauptfaktor ist.

Glasbrüche
Glasbrüche sind möglich, auch wenn das Glas in der Produktion, beim Transport, der Montage usw. einwandfrei verarbeitet bzw. behandelt wurde. Meistens handelt es sich diesfalls um sogenannte thermische Glasbrüche. Thermische Glasbrüche ereignen sich, wenn nahe beieinander liegende Bereiche der Glasfläche grosse Temperaturunterschiede aufweisen. Das Glas im warmen Bereich dehnt sich aus, wodurch in der Übergangszone eine Spannung entsteht. Übersteigt diese Spannung die Festigkeit des Glases, kommt es zum Bruch. Wenn es um die Resistenz gegenüber thermischen Spannungen geht, spricht man von Temperaturwechselbeständigkeit. Diese ist bei Floatglas wesentlich geringer als bei vorgespanntem Glas. Deshalb ist Floatglas deutlich anfälliger auf thermische Brüche als vorgespanntes Glas. Die Temperaturwechselbeständigkeit von ESG beträgt zwischen 150 und 200 K. Dies bedeutet grundsätzlich, dass der Temperaturunterschied mehr als 150° C betragen muss, damit es zu einem thermischen Bruch kommen kann. Die Temperaturwechselbeständigkeit von TVG beträgt ca. 100 K. Da solche Temperaturunterschiede kaum je erreicht werden, gibt es bei vorgespanntem Glas praktisch keine thermischen Glasbrüche. Allerdings besitzt ESG die Eigenheit, dass es spontan brechen kann. Grund für Spontanbrüche sind metallische Einschlüsse im Glas, deren Volumen sich bei einer Erwärmung vergrössert. Diese Einschlüsse – meist Nickelsulfid – entstehen in der Glasschmelze und können nicht vollständig vermieden werden. Das Spontanbruchrisiko betrifft im Wesentlichen nur ESG. Bei TVG besteht diese Gefahr theoretisch auch, in der Praxis sind solche Brüche aber extrem selten. Die statistische Bruchhäufigkeit bei ESG beträgt ungefähr ein Bruch auf 40 t Glas. Mittels eines besonderen Verfahrens, dem sogenannten Heisslagerungstest (oder Heat-Soak-Test), kann die Bruchhäufigkeit auf einen Bruch auf 400 t reduziert werden (vgl. SIGAB-Richtlinie 203 «Heissgelagertes Einscheiben-Sicherheitsglas [ESG-HST]»). 

Verletzungsgefahr bei Glasbruch
Das Baumaterial Glas kann brechen. Deshalb weist es ein gewisses Gefahrenpotential auf. Einerseits besteht Verletzungsgefahr, wenn eine Person in eine Glasscheibe hineinfällt und sich an den dabei entstehenden Scherben verletzt. Andererseits können die bei einem Glasbruch von einer Fassade oder einer Dachverglasung herabfallenden Glasteile Personen gefährden. Um diesen Gefahren vorzubeugen, gibt es je nach Einbausituation Vorgaben betreffend des einzusetzenden Glastyps[2]. Beispielsweise sind Verglasungen mit Glas unterhalb eines Meters ab Boden gemäss SIGAB-Empfehlung mit Sicherheitsglas auszuführen, also entweder ESG oder VSG. ESG gilt als Sicherheitsglas, weil es beim Bruch in kleine, stumpfkantige Krümel zerbricht. Bei einem Bruch von VSG sorgt die Zwischenlage dafür, dass die Bruchstücke zusammengehalten werden. Beides reduziert die Verletzungsgefahr massiv. Wegen der Gefahr von Spontanbrüchen unterliegt die Verwendung von ESG oberhalb von 4 Metern ab Verkehrsfläche Einschränkungen. Gemäss Merkblatt SIA 2057 «Glasbau» ist – sofern nicht ein konstruktiver Schutz vor herabfallenden Glasteilen besteht – eine Heisslagerung erforderlich und es ist eine Risikoanalyse zu erstellen. Letztere kann anhand des Instruments «Vertikalverglasungen mit Einscheiben-Sicherheitsglas – Risikobeurteilung»[3] vorgenommen werden.

Risiko von Verkratzungen
Die Erfahrung zeigt, dass ESG eine weitere Besonderheit aufweist. Aufgrund der Oberflächenspannung entstehen insbesondere bei Reinigungsarbeiten viel häufiger sichtbare Kratzer als bei Floatglas. Diese werden erzeugt, wenn z. B. Mörtelspritzer auf Gläsern mit Fensterschabern (oder Klingen) entfernt werden. In der Praxis trifft man häufig die Situation an, dass beim selben Objekt die Verglasungen mit ESG massiv mehr sichtbare Kratzer aufweisen als Floatgläser. Meistens sind die raumhohen Gläser betroffen, bei denen wegen der oben erwähnten 1 Meter-Regel ESG verwendet wurde. Bei Fenstern oberhalb einer Brüstung ist – sofern die Glasunterkante oberhalb von einem Meter ab Boden liegt – in der Regel kein Sicherheitsglas notwendig, weshalb in der Regel Floatglas eingesetzt wird. Oft ergeben sich dort keine oder deutlich weniger sichtbare Kratzer. In der SIGAB-Richtlinie 102 «Glasreinigung» finden sich Empfehlungen zur Vermeidung von Kratzerschäden.

Untenstehende Tabelle fasst die beschriebenen Charakteristiken zusammen und ist zusätzlich als PDF-Dokument am Ende des Beitrags verfügbar:

MerkmalFloatglasESGTVGVSG

Qualität der Durchsicht / optische Erscheinungen[4]

 

 

Keine spezifischen optischen Erscheinungen- Gefahr von Verzerrungen bei mehrfacher Verwendung von ESG in einem Glasaufbau
- Anisotropien möglich
- in seltenen Fällen Grauschleier 
keine spezifischen optischen Erscheinungenin seltenen Fällen flächendeckende Erscheinungen wie leicht milchige Verfärbungen oder verschwommene Durchsicht
Risiko von BrüchenTemperaturwechsel-
beständigkeit 40 K / Risiko von thermischen Brüchen verglichen mit vorgespanntem Glas hoch
- Temperatur-wechselbeständigkeit 150 - 200 K / Risiko von thermischen Brüchen äusserst gering
- Spontanbruchrisiko
- Spontanbruchrisiko bei ESG-HST stark reduziert 
Temperaturwechsel-beständigkeit 100 K / Risiko von thermischen Brüchen sehr geringDas Risiko von Glasbrüchen hängt von den eingesetzten Glasprodukten (Float, ESG oder TVG) ab.
Bruchbild und VerletzungsgefahrSchwertartige Scherben mit hohem VerletzungspotentialBei einem Bruch entstehen zahlreiche stumpfkantige Krümel, was das Verletzungspotential beim Sturz in das Glas stark vermindert.Schwertartige Scherben mit hohem VerletzungspotentialDas Bruchbild entspricht in etwa den eingesetzten Gläsern. Die Zwischenlage hält die Bruchstücke zusammen, was die Verletzungsgefahr minimiert.
Anfälligkeit auf VerkratzungenSichtbare Verkratzungen entstehen bei Floatglas wesentlich seltener als bei ESG.Insbesondere bei Reinigungsarbeiten entstehen bei ESG wesentlich häufiger sichtbare Verkratzungen als bei Floatglas.Ein erhöhtes Risiko von Kratzern ist der SIGAB nicht bekannt.Das Risiko von Verkratzungen hängt von den eingesetzten Glasprodukten (Floatglas, ESG oder TVG) ab.
Anwendungseinschränkungen aufgrund von normativen Vorgaben Gemäss SIGAB-Empfehlung insbesondere angriffsseitig nicht zu verwenden, wenn das Glas bzw. das Glaslicht unterhalb von einem Meter ab begehbarem BodenVertikalverglasungen oberhalb von 4 Metern ab Verkehrsfläche nur mit Heisslagerungstest und RisikoanalyseGemäss SIGAB-Empfehlung angriffsseitig nicht zu verwenden, wenn das Glas bzw. das Glaslicht unterhalb von einem Meter ab begehbarem BodenVSG aus Floatglas oder TVG unterliegen nicht den bei Floatglas, ESG und TVG erwähnten Einschränkungen

 

Fazit
Floatglas, vorgespanntes Glas und VSG haben je Eigenheiten, die bei der Festlegung eines Glasaufbaus berücksichtigt werden müssen. Insbesondere bei Isoliergläsern sind die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Glastypen gegeneinander abzuwägen. Teilweise sind bestimmte Glasprodukte bei gewissen Anwendungen empfohlen oder vorgeschrieben. VSG aus TVG vereint die vorteilhaften Eigenschaften der beschriebenen Glasprodukte. Allerdings sind Gewicht und Preis entsprechend hoch.

[1] Von Verbundsicherheitsglas (VSG) spricht man, wenn laminiertes Glas bestimmte sicherheitstechnisch relevante Eigenschaften aufweist. Gebricht es an den erforderlichen Eigenschaften, haben wir es mit einem Verbundglas (VG) zu tun. Die Ausführungen zu VSG in diesem Beitrag gelten überwiegend auch für VG, allerdings gibt es spezifische VG mit abweichenden Eigenschaften. Z. B. stellen Brandschutzgläser VG dar. Bei diesen kann an die Qualität der Durchsicht nicht dieselben Anforderungen gestellt werden, wie an andere Glasprodukte.

[2] In der Schweiz im Wesentlichen: SIGAB-Richtlinie 002 «Sicherheit mit Glas» und Merkblatt SIA 2057 «Glasbau»

[3] Kostenlos erhältlich über die SIGAB-Website: https://digital.sigab.ch/risikobeurteilung-vertikalverglasungen-mit-einscheiben-sicherheitsglas/68321066. Ferner gibt es dazu auch ein Online-Tool: https://www.sigab.ch/de/dienstleistungen/esg-hst-risikobeurteilung#c1405

[4] Einschlüsse, Rückstände usw. können bei allen Glastypen auftreten und werden deshalb in der Tabelle nicht eigens aufgeführt.

Bilder: SIGAB

SIGAB Glastypeneigenschaften Thermischer Bruch Floatglas Isolierglas

Thermischer Bruch einer Scheibe aus Floatglas bei einem Isolierglas.

SIGAB_Glastypeneigenschaften_Verzerrte Durchsicht Isolierglas kombinierte ESG-Schichten

Verzerrte Durchsicht bei einem Isolierglas, bei dem insgesamt fünf ESG-Schichten kombiniert wurden (aussen und innen je ein VSG aus ESG und mittig ein ESG).

SIGAB Glastypeneigenschaften Aniosotropien gebogenes Isolierglas ESG

Anisotropien bei einem gebogenen Isolierglas aus ESG-Scheiben.

SIGAB Glastypeneigenschaften Spontanbruch ESG metallischer Einschluss

Ein sogenannter Spontanbruch eines ESG aufgrund eines metallischen Einschlusses.