Herr Spicher, welches Thema beschäftigt Sie zurzeit am meisten?
Mich beschäftigen Gläser mit geringem CO2-Ausstoss, die mit minimalem Energieaufwand hergestellt werden, sowie die Integration von Solarzellen direkt in das Glas. Durch diese Innovationen können die Umweltauswirkungen bei der Herstellung von Baumaterialien erheblich reduziert und nachhaltige und effiziente Energielösungen angeboten werden. Die Realisierung umweltfreundlicherer Gebäude durch die Verwendung von Glas, das bei der Herstellung weniger Energie verbraucht oder erneuerbare Energie erzeugt, ist eine wichtige Priorität für die Zukunft der nachhaltigen Architektur.
Welche neue Technologie wird Ihrer Meinung nach unsere Branche in den kommenden Jahren radikal verändern?
Die Technologie der intelligenten Gläser, wie elektrochrome und Flüssigkristallgläser sowie photovoltaische Gläser. Diese Gläser können sich an die äusseren Bedingungen anpassen, indem sie ihre Transparenz verändern, um das Licht- und Wärmemanagement zu optimieren und so die Energieeffizienz von Gebäuden zu verbessern. Darüber hinaus wird die Integration von Solarzellen in das Glas es ermöglichen, Fassaden und Fenster in erneuerbare Energiequellen zu verwandeln und so zu einer nachhaltigeren und autonomeren Architektur beizutragen.
Welche aufkommenden Trends überraschen Sie am meisten?
Der Trend, der mich derzeit fasziniert, ist der zu sehr grossem Glas. Wir sehen jetzt Glaspaneele, die beeindruckende Grössen erreichen, mit Höhen von bis zu 18 Metern und Breiten von bis zu 3,6 Metern. Diese Dimensionen ermöglichen spektakuläre transparente Fassaden und bieten innovative architektonische Möglichkeiten. Die Herstellung und Handhabung dieser grossen Glasformate stellen erhebliche technische Herausforderungen dar, verändert aber die Ästhetik und das Design moderner Gebäude grundlegend.
Was fehlt der Branche bzw. in Ihrem Tätigkeitsfeld und wovon möchten Sie gerne mehr sehen?
Meiner Meinung nach fehlt eine stärkere Integration von Photovoltaikglas in die Fassade. Obwohl die Technik bereits vorhanden ist, wird sie in gross angelegten Bauprojekten noch nicht ausreichend genutzt. Zwar ist das Potenzial von Fassaden aufgrund der Ausrichtung in der Regel weniger effizient als das von Dächern, doch sind die Fassadenflächen oftmals viel grösser und bieten somit eine enorme Chance, mehr Energie einzufangen.
Darüber hinaus ist eine der aktuellen Herausforderungen der Mangel an grüner Energie in den Morgen- und Abendstunden, wenn die Solarpaneele auf dem Dach weniger gut ausgerichtet sind. Die Integration von Photovoltaikanlagen in Fassaden könnte diesen Mangel beheben, indem sie Sonnenenergie zu Zeiten einfangen, in denen die Dächer nicht optimal ausgerichtet sind, und so die Gesamtenergieproduktion über den Tag hinweg verbessern.
Welches ist Ihr Lieblingsgebäude aus Glas und weshalb?
Zweifellos der Campus Biotech in Genf. Was mich besonders fasziniert, ist seine vollständig verglaste Eingangshalle, in der die Primärstruktur, welche die Windlasten trägt, aus beeindruckenden Glaslamellen mit einer Tiefe von 400 mm und einer Höhe von 11 m besteht. Dieses Projekt überschreitet die Grenzen von Strukturglas, indem es nicht nur ästhetische, sondern auch funktionale Elemente integriert.
Es ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Glas sowohl als Fassadenmaterial als auch als tragendes Element eingesetzt werden kann und so einen Raum schafft, der gleichzeitig offen, hell und widerstandsfähig ist.
Info
Dieser Austausch fand im Rahmen der Interviewreihe zum SIGAB Glas-Termin 2024 statt, an dem Trends und Innovationen im Glas am Bau sowie neuste Erkenntnisse aus Forschung und Anwendung thematisiert wurden. Die technische Fachstelle SIGAB lädt regelmässig zu Fachveranstaltungen an ausgewählte Orte ein und bietet ein reichhaltiges Programm mit folgenden Schwerpunkten: Glas-News aus erster Hand, Begegnung mit den Expertinnen und Experten für Glas am Bau, Top-Referate, unterhaltsame Weiterbildung sowie Austausch und lockeres Networking. Besten Dank an Baptiste Spicher, der am Glas-Termin referierte und im Anschluss für dieses Interview zur Verfügung stand.
Mehr zum SIGAB Glas-Termin finden Sie hier.
Bild: Lea Reutimann